The actual literary works that populate our libraries do not come neatly differentiated into two dis-crete piles, fiction and nonfiction […]. It is not at all obvious, in practice, where to draw the line.1
There can hardly be a more important question about a piece of writing or speech than this: Is it fiction or nonfiction?2
Fiktionalität hat etwas mit der Vorstellungskraft zu tun. Diese Überzeugung ist der Ausgangspunkt der folgenden Untersuchung. Sie wird breit geteilt, lässt sich aber streng genommen nicht herleiten. So schreibt etwa Kendall Walton: „That make-believe (or imagination, or pretense) of some sort is central, somehow, to ‚works of fiction‘ is surely beyond question.“3
Auf der Basis dieser Prämisse stellt sich die Frage, wie der Zusammenhang im Detail aussieht. In welchem Sinne hängen Fiktionalität und die Vorstellungskraft zusammen? Spätestens seit dem Erscheinen von Mimesis as Make-Believe (Kendall Walton) und The Nature of Fiction (Gregory Currie) im Jahr 1990 wird die Frage insbesondere in der Philosophie immer wieder neu diskutiert und unterschiedlich beantwortet. Sie soll hier ein weiteres Mal gestellt werden – aus einer letztlich dezidiert literaturwissenschaftlichen Perspektive.
Der Fokus soll im Folgenden auf der Analyse des Fiktionalitätsstatus von Erzählwerken in der literaturwissenschaftlichen Praxis liegen. Als Beispiele einer solchen Analyse dienen Max Frischs Montauk (1975) und Lukas Bärfuss’ Koala (2014). Es handelt sich um Werke, deren Fiktionalitätsstatus derart umstritten ist, dass sie als paradigmatische Grenzfälle gelten können. Aus diesem Grund wurden sie ausgewählt.
Das übergeordnete Ziel der Untersuchung ist die wechselseitige Erhellung zweier Fragen. Was sind Fiktionalität und Nichtfiktionalität? Und: Welchen Fiktionalitätsstatus haben Montauk und Koala? Auf diese gleichberechtigt nebeneinanderstehenden Fragen sollen Antworten in Form begründeter Vorschläge erarbeitet werden.
Damit soll erstens ein Vorschlag einer literaturwissenschaftlich operationalisierten Definition von Fiktionalität und Nichtfiktionalität formuliert werden. Gesucht wird eine Explikation und Analysemethode, die den feststehenden Sprachgebrauch so gut wie möglich abbildet und in den Graubereichen schärft. Zweitens sollen Vorschläge zur Klassifikation der notorisch umstrittenen Fälle Montauk und Koala gemacht werden. Gesucht werden theoretisch reflektierte Klassifikationshypothesen, die den Werken in ihrer Komplexität gerecht werden und potenziellen Einwänden standhalten.
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Die methodischen Entscheidungen und zentralen Begrifflichkeiten werden in den Einleitungen zu den Kapiteln schrittweise eingeführt, erläutert und begründet. In Kürze ist die Struktur der Untersuchung die folgende.
Sie gliedert sich zunächst in zwei Teile: Rekonstruktion (I) und Argumentation (II). Im ersten Teil (Kapitel 1 und 2) werden Probleme herausgearbeitet, im zweiten Teil (Kapitel 3 bis 7) Lösungsvorschläge. Der erste Teil dient der Generierung einer Datenbasis, der zweite Teil der Argumentation auf der Basis dieser Daten.
Dabei beziehen sich die sieben Hauptkapitel wie folgt aufeinander. In der Annäherung wird der Grenzfallstatus von Montauk und Koala herausgearbeitet (1). Im ersten Theorie-Kapitel werden ausgewählte Fiktionstheorien rekonstruiert (2). In einer ersten Anwendung wird der Fiktionalitätsstatus der Werke anhand dieser Theorien analysiert (3). In der Evaluation wird die Leistungsfähigkeit der angewendeten Theorien nach definierten Gütekriterien bewertet (4). Im Kapitel Theorie II wird auf der Basis der Evaluation ein Vorschlag zur Definition von Fiktionalität und Nichtfiktionalität sowie zu deren Operationalisierung formuliert (5). Im Kapitel Anwendung II wird die erläuterte Analysemethode auf Montauk und Koala angewendet und auf die Probe gestellt (6). Im abschließenden Kapitel Thesen werden die verschiedenen Vorschläge zusammengefasst (7).
Damit sogleich zum Ausgangspunkt der Untersuchung: dem genauen Blick auf die Werke.